„Es ist sehr wichtig, dass wir solche Protokolle und Wegweiser haben, die den Klinikern behilflich sind”

16 Juli 2019

Mit der Teilnahme des Hospice-Palliativen Lehrstuhls des Instituts für Grundversorgung ist das fünf Jahre lange Horizon2020 Forschungsprogramm, das die Untersuchung der palliativen Sedierung zum Ziel gesetzt hat, im März 2019 gestartet worden. Die palliative Sedierung bedeutet die kontrollierte Anwendung von Wachsamkeit senkenden Arzneimittel in solchen Situationen, wo andere Behandlungen die Symptome der Patienten nicht richtig kontrollieren können. Das mit der Kooperation von 8 europäischen Ländern laufende Projekt untersucht neben den klinischen Anwendungen auch die ethischen, juristischen und moralischen Aspekte des Verfahrens. Wir haben uns über die Wichtigkeit und die Wirkungen der Forschung in Ungarn mit dr. Ágnes Csikós, Leiterin des Instituts für Grundversorgung und Leiterin des Hospice-Palliativen Lehrstuhls unterhalten.  

 

Verfasst von Rita Schweier

 

- Was bedeutet es für Ungarn und für den Hospice-Palliativen Lehrstuhl, dass Sie sich in diese die palliative Sedierung untersuchende europäische Kooperation anschließen durften?

- Die palliative Sedierung ist ein sehr empfindliches und komplexes Thema. Ihre Anwendung gilt als gewohnte Praxis in der palliativen Versorgung am Lebensende im Ausland, aber bei uns gibt es noch keine Wegweiser diesbezüglich, und auch die multidisziplinäre Denkweise fehlt, obwohl ihre Existenz eine große Hilfe für die Patienten, für ihre Familien und für die Versorger wäre. Für uns war es also sehr wichtig, uns an so ein Konsortium, eine Forschungsgruppe anzuschließen, die solche Länder einschließt, wie die Konsortium leitenden Niederlanden, Belgien, England, Deutschland, Italien, Spanien und Rumänien. In diesen Ländern ist die Anwendung der palliativen Sedierung Teil der klinischen Praxis, obwohl es natürlich Abweichungen gibt. Unser Ziel ist es, diese Möglichkeit hier zu Hause auch zu erschaffen und über ihre Anwendungsweise Empfehlungen zu geben. Worüber es weniger gesprochen wird, obwohl es nicht weniger wichtig ist, dass diese Methode nicht nur streng genommenen klinischen Bezüge hat, sondern auch viele ethische und moralische Probleme anspricht. Die Forschung untersucht auch diese Aspekte, bzw. auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die von den Angehörigen und Familienmitgliedern erlebt werden. Es geht um eine sehr systematische Untersuchung, die auch Vergleiche in Bezug auf juristische und klinische Seiten in den einzelnen Ländern beinhaltet. Für Ungarn bedeutet es eine große Möglichkeit, sich am Gebiet der palliativen Sedierung zu entwickeln, und in der klinischen Praxis einen solchen Schritt zu wagen, der die Patientenversorgung unterstützt.

Es ist wichtig, hervorzuheben, dass das Ziel nicht die Verkürzung des Lebens ist, sondern die Milderung der Symptome. Deshalb ist es sehr wichtig, im breiten Kreis und vor der Öffentlichkeit darüber zu reden und zusammen zu denken, weil es viele Tabus und Missverständnisse in diesem Thema gibt. Oft wird es mit Euthanasie unter einen Hut genommen, obwohl es hier gar nicht darum geht. Die palliative oder terminale Sedierung ist nichts anderes, als die Milderung der Symptome, die dann angesprochen wird, wenn die Leiden der Patienten auf keinen anderen Weg gemildert werden können. Wir können über ihre Anwendung auch als vorläufige Lösung sprechen, jedoch wird sie meistens am Lebensende als Versorgungsmethode benutzt. Es ist überaus wichtig, solche Empfehlungen und klinische Indikationspunkte zu haben, die den Klinikern helfen, wann sie diese Methode anwenden sollten, wie sie es tun sollten, welche Wirkungsstoffe sie in welcher Dosis und wie häufig verwenden können.

Im Ausland entscheidet darüber nie ein Mensch, sondern ein Team, das mit dem Arzt des Patienten zusammenarbeitet. Über den Versorgungsplan wird auch mit der Familie des Patienten vereinbart, dies ist auch Teil der Empfehlung. In dieser sehr schweren emotionalen Situation muss man ihnen mitteilen, was-wie-und warum getan wird und wie dies dem Interesse des Patienten dient. Ansonsten kann dies zu vielen Missverständnissen führen und uns eine Angriffsstelle bilden. Laut meiner Erfahrungen entstehen keine Probleme oder Konflikte, wenn man die Kooperation und die Unterhaltungen sehr früh anfängt, aber ich muss auch sagen, dass dies ein langes uns zeitaufwendiges Prozess ist. Wenn es möglich ist, muss auch der Patient miteinbezogen werden, damit wir wissen, was für ihn wichtig ist.

- Wie lief es bisher an den verschiedenen Versorgungsstationen in Ungarn ab?

- Die Methode existiert in unserer Praxis auch, aber es ist wichtig, sie zu vereinheitlichen und zu regulieren, weil es für die Kliniker viele Schwierigkeiten verursacht, was sie in solchen Situationen machen dürfen und wie die Behandlungen aussehen sollten. Es ist wichtig, ein Protokoll – eine Schritt-für-Schritt Verfahrensordnung auszuarbeiten, die den Weg für die Versorger ganz genau zeigt, und die nicht an einzelnen Entscheidungen und Erwägungen ruht, sondern an einer multidisziplinären Vereinbarung.

- Inzwischen entscheiden sich – oder würden sich entscheiden - mehr und mehr Patienten und ihre Angehörigen neben einer Versorgung zu Hause oder in einer Hospice Institution am Lebensende.

- Richtig, der Großteil der Patienten möchte zu Hause bleiben und dort versorgt werden. In mehreren europäischen Ländern gibt es die Möglichkeit der terminalen Sedierung, wie zum Beispiel in den Niederlanden. Natürlich geschieht es anhand streng geregelter Protokollen und Vorschriften. Die Behandlung kann vom Familienarzt zusammen mit einem palliativen Team initiiert werden. Es gibt auch solche Länder, wo dies zu Hause nicht ausgeführt werden darf. Dort wird die Behandlung in Krankenhäusern oder in meisten Fällen in Hospice-Abteilungen ausgeführt. Ich würde auch schon darüber froh sein, wenn dieses Verfahren bei uns in institutionellen Rahmen entstehen könnte.

- Die Rolle von Pécs ist deshalb außergewöhnlich, weil wir an der Universität einen Hospice-Palliativen Lehrstuhl haben, der leitende Rolle in der Organisation und Ausführung von Kooperationen und Trainings spielt, bzw. wir haben auch eine Stiftung, die Pécs-Baranya Hospice Stiftung, die seit Jahren die Patienten und ihre Angehörige unterstützt.

- Wir haben tatsächlich Glück, da das Klinische Zentrum und die Medizinische Fakultät den Unterricht der palliative Versorgungsformen und ihre Einführung in die Praxis von Anfang an unterstützen, und unsere Mitarbeit mit den häuslichen Hospice-Versorgern auch sehr gut ist. In den letzten 10-15 Jahren konnte deswegen ein solches integraltes Versorgungsmodell geschaffen werden, das einzigartig im Lande ist. Bei uns können die Patienten zu Hause versorgt werden, die Kliniker können mit den häuslichen Versorgern gut zusammenarbeiten. Die Patienten können ihrem Zustand und ihren Bedürfnissen entsprechend von den Mitgliedern des Teams Hilfe und Unterstützung erhalten: neben dem Arzt und den Fachpflegern auch vom Ernährungsexperten, Psychologen, Physiotherapeuten und dem sozialen Mitarbeiter. Darüber hinaus können die Patienten und ihre Angehörige die palliative Versorgung auch im Rahmen der Fachambulanz in Anspruch nehmen. Die verschiedenen Versorgungsformen können sich glücklicherweise aneinander anschließen, das Institut für Onkologie miteinbeschlossen, und so können das Niveau und die Kontinuität der Krankenversorgung gesichert werden.

- Mit Angst frage ich: gibt es dazu genug ausgebildete Experten in Pécs und in Ungarn?

- Leider nicht, wir bräuchten viel mehr. Auch aus dem Grund, weil diese Patienten und ihre Familien multidisziplinäre Hilfe benötigen. Diese könnten sie nur dann erhalten, wenn es genügend Ärzte und Fachpfleger gäbe. Wir halten die graduelle, postgraduelle Ausbildung, die palliative Lizenzausbildung und die Ausbildung der Fachpfleger für wichtig. Gott sei Dank besteht das Interesse landesweit, die Kollegen kommen aus Sopron bis Szeged, aus Budapest bis Dunaújváros von überall, und von allen möglichen klinischen Gebieten: Onkologie, Chirurgie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und auch Dermatologie. Es ist auch deswegen so wundervoll, weil sie von einander auch sehr viel lernen können, da viele von denen über langjährige Erfahrung verfügen. Glücklicherweise haben wir auch in der graduellen Ausbildung solche Kurse, die die Studierende belegen können. Erfreulicherweise gibt es auch solche PhD Arbeiten über die palliative Versorgung, die unsere Forschung auch unterstützen.

Aus der Sicht der Weiterentwicklung der Versorgung ist eine wichtige Frage, wie wir die finanzielle Förderung verbessern können, wie wir weitere Förderungen einbeziehen könnten. Wir erforschen jetzt die Möglichkeiten, die vor allem die Stabilität der Versorgungsform sichern. Das Ziel ist der Weiterausbau der finanzierten Versorgungsformen, bzw. die Vollzeitanstellung der Mitarbeiter an diesem Fachgebiet. Viele von den Kollegen übernehmen die häusliche Hospice-Aufgaben als Zweitstelle neben ihrer klinischen Stelle, weil sie so schlecht finanziert ist. Wir machen dafür auch fachpolitische Schritte und hoffen, dass wir früher oder später Erfolg haben werden.

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